„Wenn schon Luftreiniger, dann effektiv“
Experte Matthias Wagner über untaugliche Modelle und den Fakt, dass es „ein bisschen schwanger“ nicht gibt.
In Zeiten von Corona kommt dem Thema Lüftungstechnik aktuell große Bedeutung zu. Viele Städte und Gemeinden, aber auch der Main-Kinzig- Kreis rüsten zurzeit insbesondere ihre Kindergärten und Schulen mit Lüftungsanlagen aus. Matthias Wagner, Geschäftsführer der Herbert Wagner Haustechnik GmbH mit Sitz in Lanzingen, steht vielen dieser Anlagen kritisch gegenüber, weil er sie für ineffizient, wenn nicht gar für ungeeignet hält.
GNZ: Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Qualität der Anlagen bestellt, die zurzeit insbesondere an Schulen und Kitas zum Einsatz kommen?
Matthias Wagner: Hier ist große Vorsicht geboten. Denn Luftreiniger ist nicht gleich wirksamer Luftreiniger. Der Begriff Luftreiniger ist nicht geschützt. Jeder Produktentwickler kann die verschiedenen Komponenten – H13/H14-Filter, Ventilator, Regelung – kaufen und zusammengebaut als Luftreiniger verkaufen. Das heißt jedoch nicht, dass hier über die verschiedensten Aspekte nachgedacht wurde, dass die Technik zusammenpasst beziehungsweise diese einem Wirksamkeitstest unterzogen wurde, und zwar unter Realbedingungen. Eine große Zahl von sogenannten Luftreinigern entpuppen sich beim genaueren Hinsehen als gefährliche Geräte, obwohl alle das für den Laien als sichererscheinende CE-Zeichen tragen. Bei den meisten Luftreinigern ist der Luftdurchsatz zu gering, die Filterflächen sind zu klein. Der Automatikmodus regelt die Geräte zudem so weit herunter, dass die Wirkung gegen Null geht. Einige haben UV-Lampen installiert. Diese sind meistens für den Luftdurchsatz zu gering ausgelegt. Sie sind maximal für die Innen-Filter-Desinfektion geeignet, suggerieren aber ein Abtöten der in der Luft befindlichen Keime und Viren, was aber aufgrund der geringen Wirkungsweise der Lampen technisch gar nicht möglich ist. Aus einer Vielzahl tritt ungefiltertes UV-Licht aus.
Verantwortliche in Rathäusern und Behörden sind zwangsläufig keine Fachleute für diesen Bereich. Welchen Rat können Sie ihnen geben, damit sie keine Fehler machen?
Grundsätzlich ist zu fragen: Passt die Leistung des Luftreinigers zu Raumgröße und Personenzahl? Als Anhaltspunkt wird oftmals das Vier bis Sechsfache des Raumvolumens empfohlen. Zunächst muss die wissenschaftliche Wirksamkeit des Geräts nachgewiesen werden. Hier kommen die meisten Systemanbieter bereits in Verlegenheit. Natürlich filtert ein sogenannter HEPA-Filter – sofern er über den Deutschen Fachhandel gekauft wurde – 99,9 Prozent der Viren und Bakterien, aber nur dann, wenn er richtig dimensioniert und ausgelegt wird, die Vorfilterstufen funktionieren und die Luftleistung dazu passt. Ich empfehle allen Verantwortlichen dringen, Kontakt zu einem Fachunternehmen aufzunehmen, das ihnen die verschiedenen realisierbaren Möglichkeiten aufzeigt. Auf keinen Fall sollten sie Produkte über irgendwelche Online-Plattformen kaufen –n von Herstellern, deren Schwerpunkte im Vertrieb von Zukaufprodukten liegen. Hier ist es ratsam, sich vor dem Kauf von der Wirksamkeit und Sicherheit der Geräte und über die bevorstehenden Wartungskosten zu informieren.
Ganz grundsätzlich gefragt: Inwieweit können Lüftungsanlagen Kindergartenkinder, Schüler und Lehrer tatsächlich vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen?
Die Besonderheit an Klassenräumen ist: Sie sind wie Großraumbüros. Hier halten sich viele Menschen über mehrere Stunden zusammen in einem Raum auf – Idealbedingungen für Aerosole, sich zu verbreiten. Modernen Lüftungsanlagen ersetzen kontinuierlich verbrauchte Luft durch frische und gesunde Luft. Die Viruslast und damit das Infektionsrisiko werden reduziert. Ein Problem ist, dass viele Räume zu wenige Fenster haben, um den notwendigen Luftwechsel sicherzustellen. Experten raten daher in einem Büro zu einer Stoßlüftung von zehn Minuten pro Stunde, in Konferenzräumen sogar zweimal pro Stunde. Niest oder hustet eine Person im Raum, sollte sofort ausgiebig gelüftet werden, um die Aerosolkonzentration effektiv zu senken. In einem normale n Arbeitsalltag ist dies allerdings kaum umzusetzen.
Ihr Unternehmen hat in Zusammenarbeit mit Heraeus ein eigenes UVC-Lüftungssystem auf dem Markt etabliert. Können Sie die Funktionsweise kurz erklären?
Die Soluva-Air-W- und M10-Geräte funktionieren im Umluftbetrieb. Die belastete Raumluft wird angesaugt, und im Inneren des Geräts desinfizieren wir die Luft, indem sie durch den Kubus an den UV-Lampen vorbeigeleitet wird. Danach wird sie durch Quellluftauslässe wieder der Raumluft zugeführt. Durch die ständige und kontinuierliche Desinfektion der Raumluft haben wir ein um mehr als 70 Prozent reduziertes Ansteckungsrisiko im Raum. Das System wurde unter Realbedingungen am Fraunhofer Institut und an der Uni Tübingen getestet und für wirksam befunden.
Der Einbau von Lüftungsanlagen ist immer auch eine Kostenfrage. Hier das Gerät aus dem Discounter, dort ein System, das viel Geld kostet. Gibt es aus Ihrer Sicht einen sinnvollen Mittelweg, der Menschen auf der einen Seite ausreichend schützt und auf der anderen Seite für Einrichtungen auch bezahlbar sind.
Die beste Waffe gegen Corona ist der gesunde Menschenverstand, an dem es aktuell ein wenig zu mangeln scheint. Aus diesem Grund werden überhaupt solche Luftreiniger benötigt. Der Preis sollte zweitrangig sein. Schwanger oder nicht schwanger? Ein bisschen schwanger gibt es nicht. Das ist meine Einstellung zu Luftreinigern. Entweder wir machen das Fenster auf und hoffen, dass ein Luftaustausch stattfindet, oder wir investieren in unsere Gesundheit, aber dann bitte mit den richtigen und effektiven Mitteln.
An wen sollten sich Verantwortliche wenden, wenn sie Fragen zu Lüftungsanlagen haben? Gibt es übergeordnete, nicht-gewerbliche Anlaufstellen?
Ich empfehle an dieser Stelle den Fachverband Allgemeine Lufttechnik, der im Internet unter alt.vdma.org unter anderem Konzepte für einen sicheren Umgang mit Corona vorstellt. Hilfreiche Informationen gibt es auch auf der Seite des Herstellerverbands Raumlufttechnischer Geräte (rlt-geraete.de).
ZUR PERSON
Experte Matthias Wagner über untaugliche Modelle und den Fakt, dass es „ein bisschen schwanger“ nicht gibt „Wenn schon Luftreiniger, dann effektiv“ ZUR PERSON Matthias Wagner, 36, ist Meister im Installations und Heizungsbauerhandwerk und gelernter Bankkaufmann. Seit 2017 ist er, gemeinsam mit seinem Vater, Geschäftsführer der Herbert Wagner Haustechnik GmbH in Biebergemünd. Das Unternehmen stellt bereits seit 1980 Lüftungskanäle in Eigenproduktion her, außerdem klimatechnische Anlagen in allen Dimensionen – vom Einfamilienhaus bis zur Industieanlage. Zusammen mit Heraeus hat das Unternehmen jüngst ein eigenes Lüftungssystem auf dem Markt eingeführt, das ein Infektionsrisiko durch Corona und alle anderen Viren deutlich senkt. Zwei Luftreiniger vom Typ „Soluva Air“, die in einer Turnhalle installiert sind.